Sonntag, 23. Februar 2014

[Buchrezension] Ehre von Elif Shafak

 


Klappentext: 
Als sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern von Istanbul nach London zieht, erhofft sich Pembe ein erfüllteres Leben. Doch in der fremdem Welt zerreißt es die Familie, die weder den Ansprüchen ihrer alten noch der neuen Kultur gerecht zu werden scheint. Pembes Tage sind düster – bis sie den weltoffenen Elias kennenlernt. Sie teilen die Liebe zum Kochen, und Elias zeigt Pembe neue Horizonte auf, geprägt von Zärtlichkeit, Rücksichtnahme und Verständnis.
In der Heimat zurück gelassen hat Pembe ihre Zwillingsschwester Jamila, die dort im Einklang mit der Natur ein einsames Dasein fristet. Jamila spürt, dass sich mit der neuen Bekanntschaft Pembes ein schreckliches Unheil anbahnt, und sie entschließt sich zu einer folgenschwereren Reise nach London.


Erster Satz:  
Meine Mutter starb zwei Mal.

Eye-Candy: 
Das Cover ist sehr schlicht gehalten. Als Farbe domminiert das Türkis, wodurch die goldene Schrift noch deutlicher ins Auge fällt. Für dieses Thema ist das Cover sehr gut gewählt. 
Die englische Version finde ich auch sehr schön. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass das Gesicht der jungen Dame halbiert ist. Da es hier um zwei Schwestern geht und jede an sich auch sich "halbiert" oder "zerissen" fühlt, finde ich das Motiv sehr passend ausgewählt. Zudem gefällt mir der Kontrast zwischen verblichenen und kräftigen Farben. 
Das türkische Cover ist zwar nicht so schön wie die deutsche und englische Versionen, jedoch ist es sehr interessant. Auf dem Cover sieht man einen jungen Mann. Dieser junge Mann, ist die Autorin, die sich als Mann verkleidet hat... Was es damit auf sich hat, erfährt man, wenn man das Buch gelesen hat. Schade finde ich nur, dass man das Buch "Iskender" nennt in der Türkei, da der Charakter Iskender nicht die Hauptperson im Buch ist.

Inhalt: 
Es geht primär um die Zwillingsschwestern Pembe und Jamila, die in einem kleinen kurdischen Dorf in der Türkei auf die Welt kommen. 
Die Familie hat bereits sechs Töchter und die Mutter ist schon älter. Alles was sie sich wünscht, ist ihrem Mann einen Sohn zu schenken. Als dieser Wunsch ihr nicht gewährt wird, ist sie sauer. So sauer, dass sie für die Verhältnisse in der Türkei, schon fast an Gotteslästerung grenzt, als sie ihre beiden Töchter Schicksal und Genug nennt (auf kurdisch Bext und Bese, auf türkisch Kader und Yeter). Um nicht den Zorn Gottes auf sich zu ziehen, nennt der Vater die beiden Mädchen Pembe und Jamila - Rosarot und Schönheit. Rosarotes Schicksal und Genug Schönheit werden leider kein so tolles Leben haben, wie ihre Namen annehmen lassen... 
Da der Inhalt des Buches sehr ineinander verstrickt ist und wirklich jede Handlung eine Reaktion mit sich zieht, werde ich an dieser Stelle nicht mehr verraten.

Vorneweg:  
Eine sehr ausführliche Rezension, zu einem sehr brisannten Thema. Wenn ihr nicht so viel lesen wollt, könnt ihr gerne zur Kurzmeinung und Bewertung springen.

Meine Meinung:
Es gibt Bücher, die muss man langsam lesen und sie Satz für Satz genießen. So wird man sich der Botschaft hinter dem Buch klar und genau so ist es mit diesem Buch. 
Das Buch ist spannend, versteht mich nicht falsch. Es hatte mich in seinem Bann ab der Seite, aber ich wusste, dass ich es langsam angehen lassen muss... Jedenfalls langsam für meine Verhältnisse, schließlich hat das Buch über 500 Seiten und die Schrift ist winzig klein. Ich habe c.a. vier Tage dafür gebraucht und musstw mich zwingen nicht schneller zu lesen. 
Es hat sich gelohnt, kann ich nur sagen. 

Von Elif Shafak habe ich "Den Bastard von Istanbul" noch gelesen, welches zu meinen absoluten Lieblingsbüchern gehört. Ich wusste, dass auch dieses Buch mich genau so verstören würde (auf eine gute Art und Weise), was es dann auch hat. 

Wenn man selber gerne schreibt und einige Schreibratgeber gelesen hat, wird man sich denken "Moment! Die Autorin hält sich an keine der altbewährten Regeln!" Stimmt, das tut sie nicht. Sie wechselt die Perspektive mehrmals innerhalb eines Kapitels, sie schreibt oft und gerne indirekt und passiv. Sie verwendet eine Menge an Ellipsen und Dialekten und Fremdwörtern (kurdisch, türkisch, englisch). All das macht sie und noch viel mehr. 
Dennoch ist man als Leser kein einziges Mal verwirrt. Kein einziges Mal! 
Das ist eine Kunst, die nicht viele Autoren beherrschen und sollte viel mehr anerkannt werden. 
Da das Setting oft wechselt, haben die Kapitelanfänge immer eine Ortsbeschreibung. ZB: "Eine Hütte am Euphrat", dadurch weiß man bei welchem Charakter man ist. 

Elif Shafaks Charaktere sind lebendig. Sie wirken nicht nur so, sie atmen und haben ihre eigenen Wünsche, ihre eigenen menschlichen Schwächen und sind einfach so viel mehr, als bloße Figuren auf Papier. 
Es gibt eine Menge an Charakteren, die ich in diesem Buch nicht leiden kann. Den Ehemann von Pembe, nur um einen zu nennen. Er ist spielsüchtig, charakterschwach, schlägt seine Frau und Kinder und ist einfach ein Mensch, mit dem man nichts zu tun haben möchte. Aber dennoch lebt er. Man kann nachvollziehen, warum er so geworden ist. Natürlich muss man das nicht gutheißen, aber man versteht es. (Dennoch ist eine verkorkste Kindheit keine Entschuldigung!) 
Alle, die das Buch gelesen haben, hassen wahrscheinlich Iskender. Er ist der Sohn von Pembe und Adem, der im Gefängnis sitzt, da er etwas schreckliches getan hat. Wie es dazu kam und wie dieser Charakter sich danach weiterentwickelt hat, dieser Prozess, ist unglaublich glaubwürdig dagestellt. Obwohl er mich anekelt und kein gesunder Mensch ihn leiden wird, fand ich seine Kapitelabschnitte interessant. Die Wut und Reue, die ihn ihm toben, sind so faszinierend. Aber wie gesagt, ich heiße keine seiner Handlungen gut. 

Am liebsten wäre mir, wenn das Buch noch weitere 300 Seiten hätte. Ich wollte gerne lesen, was mit der Familie in Zukunft passiert. All die Charaktere, die man ins Herz schließt, wie den kleinen Yunus, der so eine liebe Seele ist... 

Eine weitere Stärke des Buches ist die Zusammenführung all der Handlungsstränge, die dann zu einem großen Ganzen verschmelzen. Dadurch werden die zentralen Fragen beantwortet und alles ergibt einen Sinn. Dieser Aha-Effekt ist unglaublich. 

Ein winziges Manko gibt es dennoch, es ist das Ende vom Ende. Es kommt zu schnell und wirkt zu hingeklatscht. Nach 500 Seiten voller Andeutungen und Hinweisen, erwarte ich da mehr Fleisch auf den Knochen, wenn ihr versteht. Die Mystik, die angedeutet wurde, war enttäuschend... vielleicht waren meine Erwartungen auch zu hoch. Denn das Ende bei "Der Bastard von Istanbul" ist pure Gänsehaut. Ein besseres Ende, mit mehr Gänsehaut-Feeling habe ich bisher noch nie erlebt und ich habe gehofft, dass "Ehre" da mithalten könnte.

In der Kürze liegt die Würze: 
Ein Familienepos, in dem jeder Satz zählt und zur Lösung der zentralen Problematik führt. Das Buch hat einen hohen moralischen Stellenwert. Bitte beachten, dass es nicht "nur" um die Idee der Ehre geht, es geht an erster Stelle um die Liebe. Die Liebe zur Familie und die romantische Liebe und was die Liebe mit uns anstellen kann, im Guten, wie im Schlechten.
Es heißt nicht umsonst, dass wir am meisten die verletzten, die wir am meisten lieben... In diesem Fall ist es ein sehr krasses Beispiel und nichts für Leute, die nicht bereit sind ihre Denkmuster zurückzustellen. Die Charaktere und ihre Handlungsweisen sollten nicht mit Vorurteilen betrachtet werden (erneut: Ich heiße sie nicht gut), damit man mehr von diesem Buch mitnehmen kann und eine Art Verständniss für den Prozess von Gewalt entwickeln kann (Gewallt kann viele Formen haben und muss nicht immer "nur" physisch sein).

Bewertung:  
Das Buch wird mich sicher noch lange beschäftigen. Ich habe mir einige Interviews mit der Autorin angesehen, in denen sie über dieses Buch spricht. Falls ihr nach dem Lesen weitere Fragen haben solltet, sind die Interviews sehr empfehlenswert. 
Da das Ende eine Spur zu schnell und hingeklatscht war, gebe ich dem Buch 4,5 Herzchen ♥ ♥ ♥ ♥

Autorin:  
Elif Shafak, in Straßburg geboren, gehört zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen in der Türkei. Sie studierte Internationale Beziehungen an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara, erhielt einen »Master of Sciences in Gender and Women's Studies« und promovierte an derselben Universität. Die preisgekrönte
Autorin von zwölf Büchern, darunter The Forty Rules of Love und Honour, schreibt auf Türkisch und auf Englisch. Ihre Bücher sind in über 30 Ländern erschienen. Elif Shafak lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London und Istanbul.
(Quelle)

© Murdo Macleod
Vielen Dank an lovelybooks und an den Verlag Kein & Aber. Ich habe mich sehr über dieses Buch gefreut!

Titel: Ehre
Originaltitel: Honour
Autoren: Elif Shafak
Genre: Familienroman
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-0369-5676-3
Hardcover inkl. e-Book: mit Schutzumschlag, 528 Seiten

Leseprobe und weitere Informationen hier

4 Liebe Worte:

  1. Huhu!
    Sehr schöne Rezension. Ich hatte mich bei Lovelybooks ebenfalls um ein Exemplar beworben, aber leider keins bekommen ;) Deine Rezension hat mich jedenfalls sehr neugierig gemacht! Von der Autorin habe ich bisher kein Buch gelesen *schäm* aber das sollte ich wohl dringend nachholen :D
    Ganz liebe Grüße,
    Ebru

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    1. Ach nö, ist ja schade. Es ist ein so tolles Buch und absolut lesenswert!
      Wenn dir dieses Buch gefällt, dann wirst du sicher von "Der Bastard von Istanbul" begeistert sein :)

      Ganz liebe Grüße
      Carly

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  2. Hallo Carly!
    Ich musste jetzt sofort deinen Blog besuchen und die Rezension lesen. Ja, unsere Meinungen sind sich sehr ähnlich. Allerdings gehöre ich zu den Lesern, die in Iskender nicht nur einen Täter sehen, sondern auch ein Opfer. Ich hatte sogar manches Mal Mitleid mit ihm - er ist der älteste Sohn, fühlt sich für seine Geschwister und seine Mutter verantwortlich und übernimmt die Rolle seines Vaters, der ja lieber bei seiner Affäre seine Zeit verbringt. Das überfordert ein Kind, einen Jugendlichen, dann kommen noch die türkisch/ kurdischen Lebensansichten dazu, religiöse Ansichten, auch wenn sie nicht mehr so ausgelebt werden, all das führt wohl zu dieser explosiven Mischung - von daher kam bei mir Mitleid auf, kein Hass. Ich sehe ihn gleichzeitig als Täter und Opfer.

    Was das Schreiben gegen die Schreibregeln angeht, das sehe ich genau so wie du. Es wird so ziemlich jede wichtige Regel für gutes Schreiben verletzt und es funktioniert trotzdem. Das ist erstaunlich und ja, auch ich sehe das wirklich als Kunst.

    Auf alle Fälle: Tolle Rezension! Ganz liebe Grüße, Iris

    PS: Der Bastard von Istanbul- ist notiert! Danke für den Tipp!

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    1. Die psychische Entwicklung von Iskender ist schon sehr bemerkenswert dagestellt. Wie er zum Täter wird und wie er dadurch auch bis zu einem gewissen Punkt zum Opfer wird... Da hast du recht!

      Au ja, das Buch ist SO gut, du musst es einfach lesen!

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