Mit Der Prozess schuf
Franz Kafka ein Jahrhundertwerk, das die Existenzbedingungen des
Individuums auf inhaltlich und formal bahnbrechende Weise radikal neu
formulierte. Die große Parabel über das Scheitern des Josef K. vor
Gericht und Gesetz veranschaulicht das ausweglose Dasein des Einzelnen
im Labyrinth einer anonymen Welt, die sich jeder Sinnsetzung entzieht.
Das Werk kann man bei vielen Open Source Anbietern umsonst lesen. Ich habe die kostenlose Version von Amazon runtergeladen, aber wenn ihr keinen eReader besitzt, lege ich euch Projekt Gutenberg ans Herz, falls ihr es nicht bereits kennt.
Meine Meinung: Euch wird auffallen, dass ich nicht über das Buch selbst sprechen werde. Natürlich könnte ich hier eine literarische Analyse meinerseits ausführen, aber das will ich nicht. Das musste ich oft genug im Studium und in der Schule machen (und habe es ernsthaft genossen). Es gibt genügend Interpretationen und Textstudien zu Kafka, ich möchte nur begründen, wieso er es wert ist, dass man ihm eine Chance gibt.
Wer hat Angst vor Kafka? Die Antwort lautet, so ziemlich die meisten Schüler und "Hobby"leser. Dass man als Schüler keine Lust auf Schullektüre hat, weil Lesen als Pflicht angesehen wird und man zum Teil ganze Werke zerhackt und zu Tode intepretiert, verstehe ich. Auch dass man als Hobbyleser, als eine Person, die unterhalten werden möchte und die vielleicht nicht alles mehrfach lesen möchte oder über das Gelesene zu lange nachdenken möchte, verstehe ich.
„Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehn der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.“ (Der Prozess)
Das erste Mal kam ich in Berührung mit Kafkas Werk, eine Parabel, als ich in der achten Klasse war. Die kurze Geschichte hat mich verstört. Irgendwie verstand ich sie nicht und darin barg sie ihren Reiz. Wieso verstand ich sie nicht? Was konnte ich daran nicht greifen? Mein Deutschlehrer meinte: "Um Kafka verstehen zu können, sollte jeder Satz zehnmal gelesen werden." (übrigens handelte es sich um die Türsteher-Parabel, wirklich empfehlenswert)
Zum einen muss man Kafka nicht verstehen. Ich lehne die strikte Intepretation eines Werkes grundlegend ab. Natürlich findet der subjektive Leser Motive und andere auffallende literarische Mittel, die der Autor bewusst oder unbewusst in das Geschehen hineingeflochten hat. Eine Analyse von Werken und eine kritische Diskussion ziehe ich einem "lasst und alles interpretieren, yippie-yeah" vor. Dass man das leider an manchen Schulen immer noch macht, finde ich echt schade, da so großartige Bücher ihren Reiz für Schüler verlieren.
Wie also Kafka lesen? Ganz einfach, indem man das Buch einfach nimmt, ohne voreingenommen zu sein, ohne alles zu ernst zu nehmen und loszulegen. Wusstet ihr, dass Kafka selbst, als er aus seinen Werken vorlas, mehrmals laut auflachte? Das ist eine ziemlich gute Lehre für Leser und Autoren: Nehmt nicht alles so ernst!
Wenn der Leser irgendwelche Lehren, Messages oder sonst was aus dem Buch ziehen kann (ja, auch ich meine, dass ich eine Art Sinn dahinter verstanden habe), dann ist das sehr schön für ihn. Wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Nur weil man das Gefühl hat, ein Buch nicht zu verstehen, heißt es nicht, dass man doof ist. Ich kenne viele sehr intelligente Leute, die Kafka auf den Tod nicht ausstehen können und die seine Lektüre mit Frust gleichsetzen. Das ist okay, jeder hat einen anderen Geschmack.
Für mich ist Kafka ein großartiger Autor. Bisher habe ich immer nur seine kürzeren Werke gelesen und sie immer genossen. Er schreibt magisch, karg, treffend, minimalistisch und trifft den Leser am Ende seiner Geschichten mitten ins Gesicht. Mit der Faust. Oft, wenn nicht die ganze Zeit über, fühlt man sich in einem Stadium zwischen (Alb-)Traum und Realität gefangen. Er schreibt undurchsichtig, egal wie lang oder kurz seine Texte auch sind, es ist immer eine Reise, deren Ende ungewiss ist.
„Ich glaube, man sollte überhaupt nur noch solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? […] Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ (Brief an Oskar Pollak, 27.01.1904) (Quelle)
Autor: